Estudi introductori - Einleitende Studie - Introductory study - Estudio introductorio - Introduction - Studio introduttivo - Estudi introductòri

Kolsen, Adolf. Sämtliche Lieder des Trobadors Giraut de Bornelh . Halle a. S.: Verlag von Max Niemeyer, 1910.

 
Meiner lieben Frau.
 
 
« Que·l cudars
M’ aiuc’ e m’ embria,
So m’ es vis, totz mos afars. »
 
G. de Bornelh, Nr. 5, 52.
 
 
 
***
 
« Car om per esgardamen
Val mais ades, n’ estatz membratz
Qu’ en Girautz dis als acabatz
Per esfortir lor bon captenh. »
 
Raimon Vidal, Abrils 1543.
 
 

Auf Giraut de Bornelh, den „Meister der Trobadors”, welcher im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts blühte, war ich von Herrn Prof. Adolf Tobler in Berlin im Jahre 1891 hingewiesen worden. Je mehr ich mich in der Folge mit diesem so fruchtbaren und geistvollen Dichter beschäftigte, um so bedauerlicher erschien mir das Fehlen einer kritischen Giraut-Ausgabe, um so klarer wurde es mir, eine wie verdienstliche Aufgabe es wäre, diese in der provenzalischen Literatur vorhandene große Lücke auszufüllen. Im Jahre 1894 edierte ich dann einige Gedichte des G. de Bornelh und äußerte dabei, freilich noch ganz leise und schüchtern, die Absicht, später einmal sämtliche Werke Girauts herauszugeben. Als man mich daraufhin sowohl in den öffentlichen Besprechungen meiner Arbeit wie auch privatim dringend ersuchte, meinen Plan, so langwierig und schwer das Unternehmen auch sei, doch auf alle Fälle festzuhalten und zu verwirklichen, ja als deutsche und französische Fachgelehrte, sehr erfreut über mein „Versprechen", mich gar beim Worte nahmen, da gab es für mich kein Zurück mehr und — ich machte mich beherzt an die Arbeit.

Schon beim Sammeln des äußerst umfangreichen, über viele Länder verstreuten handschriftlichen Materials waren große Hindernisse zu überwinden. Was nicht etwa in diplomatischen Abdrücken bereits vorlag, mußte erst von da und dort herbeigeschafft werden. Aus der Wiener Hofbibliothek sandte man mir bereitwilligst die Abschrift der Hs. Da, aus Florenz stellte mir die Verwaltung der Riccardiana infolge gütiger Vermittlung unseres Auswärtigen Amtes die Hss. Q und a, welche damals noch nicht gedruckt waren, zwecks Benutzung auf der Berliner Kgl. Bibliothek freundlichst zur Verfügung, vier Gedichte aus der Hs. G der Mailänder Ambrosiana war Herr Prof. F. Novati, eins aus dem Oxforder Codex S Herr George Parker so liebenswürdig für mich zu kollationieren, und die im Besitze der National-Bibliothek befindlichen Manuskripte C, E, I, K, M, R und T, sowie die der Arsenal-Bibliothek gehörige Kopie von Dc verglich ich im Sommer 1897 in Paris persönlich, ebenso wie im Thirlestaine House zu Cheltenham die nicht so ohne weiteres erhältliche Hs. N. Besonders sauer gemacht wurde es mir mit der bekanntlich sonst fast ganz unzugänglichen Handschrift von Saragossa (Sg), die übrigens vor kurzem nach Barcelona gebracht worden sein soll. Für meine Schrift von 1894 war es mir gelungen, einige Texte daraus zu erlangen; diesmal aber, wo es sich um eine ganz beträchtliche Anzahl Gedichte handelte, blieb ihr Besitzer, der inzwischen verstorbene Herr Prof. Gil y Gil, lange unerbittlich, bis er sich dann doch schließlich, infolge meiner Beteiligung an der Suscripcion Nacional während des spanisch-amerikanischen Krieges, bewegen ließ, die ihm von mir zugestellten Textabschriften mit den gewünschten Varianten aus seinem Manuskripte zu versehen. So habe ich denn seit Januar 1899 das ganze zur Veranstaltung einer Giraut-Ausgabe erforderliche Material beisammen und freue mich, hier allen denen, die mir zur Erzielung dieses günstigen Ergebnisses verholfen haben, für ihr freundliches Entgegenkommen nochmals innigen Dank abstatten zu können.

Den gewaltigen Stoff galt es nun zu sichten und kritisch zu bearbeiten, und dazu gehörte vor allem freie Zeit. Schon nach einem halben Jahre fing diese mir zu fehlen an, und so blieb es bis zum Sommer des Jahres 1904. Erst dann fand ich wieder die gehörige Muße für die Textkritik. Bei der Bearbeitung der beiden Kreuzlieder Girauts für einen von der Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen Herrn Prof. Tobler zu seinem 70. Geburtstage darzubringenden Festband machte ich mich mit dem mir während jener fünf Jahre schon etwas fremd gewordenen Dichter bald wieder vertraut und ich konnte mich fortan ohne größere Unterbrechung meiner Aufgabe widmen.

Um die Geduld derer, die auf das Erscheinen der Giraut-Ausgabe auch so schon ziemlich lange warteten, nicht allzu sehr auf die Probe zu stellen, beschloß ich zunächst das Wichtigste, nämlich die kritisch hergestellten Texte sämtlicher Lieder nebst Angabe der jedesmal in Betracht kommenden und der bevorzugten Handschriften, den Varianten-Apparat und die deutsche Übersetzung, zu veröffentlichen, während die Biographie des Dichters, ein Kommentar, Bemerkungen über Handschriftliches, Sprachliches und Metrisches, sowie das Glossar weiterhin folgen sollten. Die einzelnen Stücke wurden zuerst vorläufig rekonstruiert, darauf nach Dichtarten eingeteilt und innerhalb ihrer Gattungen nach Möglichkeit chronologisch geordnet. Dann wurden immer etwa zwanzig endgültig fertiggestellt und gedruckt, sodaß vom Februar 1907 bis zum März 1909 in drei Heften schon 59 Gedichte der Öffentlichkeit übergeben werden konnten. Diesen reihen sich nunmehr die letzten 18 Nummern an.

Wenn die Zahl der Lieder gegenüber der Feststellung des poetischen Nachlasses Girauts in meiner Schrift von 1894 S. 11 ff. hier von 80 auf 77 zurückgegangen ist, so liegt das daran, daß ich den Gedichten B. Gr. 242, 7 und 81, sowie 323, 1 trotz der Gründe, die früher für Giraut als ihren Verfasser geltend gemacht wurden, nun doch nach reiflicher Überlegung ihre Echtheit absprechen zu müssen geglaubt habe. In der Frage der Autorschaft von Gr. 242, 7 Al plus leu hat auch Herr Geheimrat Gröber, als er meine kritische Bearbeitung des Liedes für seine Zeitschrift (s. Bd. 32, S. 698) annahm, entgegen seiner Ansicht in den Rom. Stud. II, 663, brieflich meiner Argumentation in den Mélanges Chabaneau (Rom. Forsch. 23, 492 ff.) zu Gunsten der Guilhem de Cabestanh als Verfasser nennenden Hss. ADIK unumwunden zugestimmt. — Mit denselben Handschriften wird Gr. 242, 81 Un sonet novel fatz dem Ricas Novas zuzuerkennen sein, nämlich mit IK, welche nach Appel (im Tobler-Festband von 1895, S. 52) auch sonst besonderes Vertrauen verdienen und die gemäß Pillets Darlegung im Archiv 101, 133 gerade für Gr. 242, 7 und 242, 81 in der Attribution von N² abweichen, und mit D (f. 185), denen sich dann noch A² (f. 142), allerdings im Widerspruch mit (f. 22), anschließt. In der Hs. V, die nach Gröber, Rom. Stud. II, 599, hier besonders für Giraut sprechen soll, steht Gr. 242, 81 (f. 114, Arch. 36, 451) gar nicht unter Girauts Liedern, sondern zwischen Dichtungen des R. d’Aurenga — das ihm unmittelbar vorhergehende Gr. 242, 3 (hier Nr. 2) ist eben in V dem R. d’Aurenga attribuiert, wenn es nicht anonym ist — und solchen Peirols. Dem Peirol wird nun aber Gr. 242, 81 auch in CER zugeschrieben, und dieser Umstand ist gewiß die Folge einer auch anderweit (*) vorkommenden Verwechslung dieses Namens mit Peire, hier dann mit Peire Bremon, der ja mit dem Ricas Novas von A²DIK identisch ist. Auch findet sich das Gedicht nicht, wie angenommen wurde, in M, wohl aber in N und da ohne Angabe des Verfassers. Dem Giraut wurde es in A¹B(N²)QSga wahrscheinlich deshalb zugewiesen, weil es ähnlich anfängt wie Nr. 53 der Giraut-Ausgabe Un sonet fatz. Gr. 242, 81 soll ebenso wie noch einige andere dem Giraut fälschlich attribuierte Gedichte von mir demnächst besonders herausgegeben werden. — Wieder die nämlichen Hss. ADIK, denen sich dann noch B C reg. ENN²T zugesellen, schreiben das von Appel im Anhang zu seiner Ausgabe der Lieder des Peire Rogier S. 98 veröffentlichte Gedicht Gr. 323, 1 Abans que·l blanc pueg sion uert nicht wie CQRSga Giraut de Bornelh, sondern Peire d’Alvernhe zu, und diese Attribution scheint mir denn auch trotz Zenkers gegenteiliger Annahme in seiner Ausgabe der Lieder Peires von Auvergne S. 2 die richtigere zu sein. Wird sie doch gewissermaßen bestätigt durch die nach Appel, P. Rogier S. 97 zwischen dem strittigen Gedichte und Alegrets Ara pareisson l’arbre sec (Gr. 17, 2) bestehenden Beziehungen. Da nämlich Alegrets Gedicht nach den Erklärungen seines Herausgebers Dejeanne in den Ann. du Midi19, 222 schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sein muß, so kann seinem Verfasser, einem gascognischen Spielmanne, der doch gewiß seinerseits der Nachahmer gewesen ist, wohl Peire d’Alvernhe, welcher nach Zenker a. a. O. S. 34 im Jahre 1148 wahrscheinlich schon erwachsen war und der in den fünfziger Jahren des 12. Jahrhunderts als Trobador bereits Berühmtheit erlangt hatte, zum Vorbilde gedient haben, nicht aber Giraut de Bornelh, welcher sicherlich nicht früher als in den sechziger Jahren zu dichten begann und Peire d’Alvernhe, zufolge den Angaben in dessen prov. Lebensnachrichten, erst die Krone des Gesanges abgerungen haben soll.

Den Namen des Dichters schreibe ich neuerdings Giraut statt Guiraut auf Grund des mir von Herrn Prof. Antoine Thomas in Paris in einem sprachgeographischen Aufsatze (Romania1906, S. 106 ff.) auf meine Anfrage hin freundlichst gegebenen Bescheides. Dagegen konnte ich mich nicht entschließen, den Rat dieses Gelehrten betreffs der Schreibung Borneil für Bornelh zu befolgen, erstens weil ja Giraut am Ende des 12. Jahrhunderts, wo nach Thomas’ eigener Meinung (ib. S. 108) lh für das mouillierte l schon gebräuchlich war, noch lebte und seinen Namen demgemäß geschrieben haben kann, ferner, weil ich mich gegenüber der Verwendung von lh in den Texten keiner Inkonsequenz schuldig machen wollte, und endlich auch, weil ich sah, daß Thomas selbst in seiner Ausgabe der Werke des Bertran de Born (s. da weiter oben im Vorwort) es am Ende doch vorzog, mouilliertes l durch lh wiederzugeben.

Die Graphie in den Texten suchte ich einheitlich zu gestalten. Damit jedoch eine genaue Nachprüfung und eine immer größere Vervollkommnung der Texte ermöglicht werde, wurden alle Varianten verzeichnet, von denen anzunehmen war, daß sie für die Textkritik noch irgendwie von Bedeutung sein könnten. Im allgemeinen habe ich für die Schreibung wieder das in meinem Buche von 1894 S. 71 geschilderte Verfahren eingeschlagen. Von einigen Abweichungen, wie derjenigen, daß diesmal nicht diphthongisiert wurde, weil sich Gr. 242, 63 (Nr. 17), v. 16 bei der kritischen Bearbeitung nicht mehr nec, sondern joc als Reimwort ergab, wird in dem Kapitel über die Sprache des Dichters im nächsten Bande noch die Rede sein; da wird sich dann auch zeigen, was an der Schreibweise im Sinne des Dichters hier und da noch wird gebessert werden können.

Bei der Rekonstruktion der Texte bin ich der Überlieferung so treu geblieben wie irgend möglich; wo es aber gar nicht anders ging, habe ich Änderungen eingeführt, die dann jedesmal durch Kursivschrift kenntlich gemacht sind. Ein einziges Mal, in Nr. 68 IV, kam es vor, daß ein Vers gänzlich fehlte; meine Konjektur habe ich hier aber nicht in den Text zu setzen gewagt, sondern in die Varia lectio verwiesen.

Die Varianten und Übersetzungen sind so gedruckt, daß den Lesern der Liedertexte, welche sich ihrer bedienen wollen, die große Unbequemlichkeit des fortwährenden Umblätterns erspart bleibt.

Um den Inhalt der Gedichte von vornherein kurz zu kennzeichnen, habe ich den Übersetzungen Überschriften vorangestellt, von denen gewiß mit der Zeit die eine oder die andere durch eine bessere sich wird ersetzen lassen.

Bei der Überarbeitung der von mir bereits 1894 und 1905 edierten Gedichte habe ich mir die Kritiken von Appel, Levy, Jeanroy und Tobler und für das 1. Kreuzlied (Nr. 60), v. 82 eine briefliche Mitteilung des Herrn Prof. O. Schultz-Gora in Königsberg zu Nutze gemacht. Gern gedenke ich auch der vortrefflichen Dienste, welche mir im ganzen Verlaufe meiner Arbeit C. Appels Chrestomathie und E. Levys Supplementwörterbuch auf Schritt und Tritt geleistet haben.

Aufrichtigen Dank schulde ich meinem hochverehrten Lehrer Herrn Prof. Adolf Tobler in Berlin sowohl für die ursprünglich von ihm ausgegangene Anregung zur Herausgabe Girautscher Lieder, die eben nachher zur Veranstaltung der Gesamtausgabe führte, als auch für das lebhafte Interesse, das er meinem Unternehmen unablässig entgegenbrachte. Sodann bin ich Herrn Prof. Alfred Jeanroy in Toulouse sehr verbunden für die ungemeine Liebenswürdigkeit, mit der er mich immer wieder zur Fortführung meines Werkes ermunterte nicht nur in freundlichen, anregenden Briefen und wohlwollenden, fruchtbringenden Rezensionen, sondern auch persönlich bei einem kurzen Besuche, den er mir Ostern 1908 in Aachen, wo ich damals an der Hochschule dozierte, abstattete. Auch Herrn Prof. Emil Levy in Freiburg habe ich zu danken für die mir zu einer Anzahl der bereits 1907 erschienenen Gedichte gütigst übermittelten Verbesserungsvorschläge, denen ich in Zukunft noch Rechnung tragen werde.

Schließlich gebührt besondere Anerkennung noch den Herren Dr. Max Niemeyer und Ehrhardt Karras in Halle, dem Verleger und dem Drucker, welche auf meine mannigfachen Wünsche hinsichtlich der Erscheinungsart, der Einrichtung und des Druckes immer bereitwilligst eingingen und sich so um das Zustandekommen dieses Bandes wohl verdient gemacht haben.

In der Revue critique vom 1. Juli dieses Jahres, S. 511, klagt Jeanroy über die in den Liedern des Giraut de Bornelh vorhandenen difficultés extrêmes et qui ne seront peut-être jamais surmontées. Hoffen wir aber doch, daß es den vereinten Kräften der Provenzalisten hüben und drüben nun, da ja sämtliche Gedichte Girauts mit den Varianten gedruckt vorliegen, allmählich gelingen möge, über alle dunklen Stellen in den Werken des „Meisters” Licht zu verbreiten, und wünschen wir, daß Bernart Amoros, der bekannte auvergnatische Geistliche aus dem 13. Jahrhundert, nicht lange mehr Recht behalte mit seinem Ausspruche (s. Jb. 11, 12) que trop volgra esser prims e sotils om qui o pogues tot entendre, specialmen de las chansos d’en Giraut de Bornelh.

 

Berlin W.30, den 1. Oktober 1909.

Prof. Dr. Adolf Kolsen.

 

 

Fußnoten:

* Vgl. z. B. Zenker, Peire von Auvergne, S. 3. ()

 

 

 

 

 

 

 

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